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: Geschichte und Landeskunde


Jahre im Zwiespalt : Als Pastorensohn im NS-Mustergau Wartheland
Artikelnummer: 1575
Autor: Arnulf Baumann

12.80 €

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ANNE SEEMANN
Buchrezension 
„Jahre im Zwiespalt – Als Pastorensohn im NS-Mustergau Wartheland“ von Arnulf Baumann

In seiner autobiografischen Skizze schildert Arnulf Baumann auf 108 Seiten seine Erfahrungen zwischen den Jahren 1940 bis 1945. Hauptaugenmerk liegt auf dem Zwiespalt, in dem er sich als Pastorensohn zwischen den christlichen Werten seines Elternhauses und der herrschenden „Herrenmoral“ Nazideutschlands befand. Seine Erzählung gliedert er in 19 Kapitel, die seinen Erlebnissen einen chronologischen Rahmen geben: von der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen im Rahmen der Aktion „Heim ins Reich“ bis zur Flucht und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Innerhalb dessen jedoch geht er zum großen Teil thematisch vor, die Kapitel heißen dann: „Schule und Oberschule“ und „Lieder“ aber auch „Vorboten des Endes“ und „Auf der Flucht“. Das Buch ist im Jahr 2020 erschienen und in der gebundenen Ausgabe über den Bessarabiendeutschen Verein zu beziehen.Sein Weg führte den 8-jährigen Arnulf Baumann gemeinsam mit seiner Familie mit der Umsiedelung von seinem Geburtsort Klöstitz in Bessarabien in das erste Lager im kleinen Dorf Rüdigershagen im thüringischen Kreis Worbis. Einige Monate später musste die Familie weiterziehen, in ein Redemptoristenkloster im benachbarte Heiligenstadt/Eichsfeld; ein weiterer Zwischenstopp war Litzmannstadt/Lodz. Im Juni 1941 wurde der Vater, Pastor Immanuel Baumann, schließlich nach Konin/Warthe einberufen. Dort verbrachten Baumanns die Zeit bis zur Flucht im Januar 1945.Der Autor schildert seine persönlichen Erlebnisse, die ihn damals in einem Gefühl der Zerrissenheit haben leben lassen, und ordnet sie ein in den historischen Rahmen, den der NS-Staat und der Krieg vorgegeben haben. Die Ahnung, dass er es schwer haben würde, seinen Platz in der neuen Heimat zufinden, erfasste Arnulf Baumann schon früh während der Umsiedlung: Das Zusammentreffen mit einem SS-Offizier im Zug Richtung damalige deutsche Grenze zeigte deutlich die ablehnende Haltung,die in Nazideutschland der Kirche und ihren Vertretern gegenüber herrschte: Der Offizier fand den älteren Bruder Winfried mit seinem hohen Wuchs geeignet für die SS, jedoch nur so lange, bis er erfuhr, dass er es mit einer Pastorenfamilie zu tun hatte. Da sagte er: „Na, mögen tun wir die ja nicht;aber umgebracht haben wir noch keinen!“ und ging davon. Auch später im Umsiedlungslager korrigierte sich der erste Eindruck nicht; der Vater war in der Ausübung seiner Pastorentätigkeit abhängig vom Belieben des jeweiligen Lagerleiters.In den folgenden Kapiteln schließen sich die Schilderungen weiterer Begebenheiten an: wie es in der Schule zwar keinen Religionsunterricht gab, dafür aber spöttische Bemerkungen über Kirche und christlichen Glauben an der Tagesordnung waren. Wie das Weihnachtsfest zwar stattfand, aber durchdas Weglassen sämtlicher christlicher Bezüge völlig sinnentleert wurde. Wie ihn im Deutschen Jungvolk ein neuer Bannführer für gute Arbeit lobte, jedoch die nächste Gelegenheit nutzte, Arnulf Baumann zu demütigen, nachdem er erfahren hatte, dass dieser Pastorensohn war. So standen sich Staat und Kirche nach Baumanns Empfinden „fremd und ablehnend“ gegenüber. Als symptomatisch empfand er den Kontrast zwischen der ruhigen Gesprächsatmosphäre im Elternhaus und dem aufgeregten Ton staatlicher Propaganda.
Für die historische Einordnung seines Empfindens analysiert der Autor die Stellung der Kirche im NS-Staat und speziell im NS-Mustergau Wartheland. Dort wollten die Verantwortlichen demonstrieren, wie es nach dem Endsieg im gesamten Deutschen Reich aussehen sollte. Somit war der Anspruch, dienationalsozialistischen Werte zu leben, entsprechend hoch. Erschwert wurde die Umsetzung, wie derAutor ausführt, weil die Deutschen trotz aller Bemühungen nie die Bevölkerungsmehrheit in der Region bildeten, so dass die NS-Führung zu rigorosen Machtdemonstrationen griff, wie der gnadenlosen Repression der Polen und der erzwungenen Mitgliedschaft in NS-Organisationen für Deutsche.Für geistliche Institutionen war im NS-Mustergau Wartheland kein Platz. Wenn auch die evangelischeKirche (im Gegensatz zu jüdischen Gotteshäusern und auch der römisch-katholischen Kirche) nicht verboten wurde, so wurde ihre Rolle für das deutsche Volk doch kritisch betrachtet und sie zu einem Verein minderen Rechts degradiert. Der Posener Regierungsvizepräsidenten Richard Jäger verfolgte einen 13-Punkte-Plan, der die völlige Demontage der kirchlichen Struktur vorsah. Die Trennung zwischen Kirche und Staat war so streng, dass einige Staatsvertreter ihren Job verloren, nachdem sie im Gottesdienst gesehen wurden. Was die NS-Führung unterschätzt hatte, war die enge Bindung der umgesiedelten Deutschen an die Kirche. Sie besuchten regelmäßig Gottesdienste und ersetzten die verbotene Kirchensteuer durch großzügige Spenden.Der Zwiespalt zwischen den familiären und den gesellschaftlichen Werten im NS-Staat sensibilisiert Arnulf Baumann für weitere Unstimmigkeiten, die ihm während der Jahre im Wartheland begegnen: Begebenheiten, bei denen seine Wahrnehmung nicht mit dem zusammenpasste, was öffentlich kommuniziert wurde. Im Nachhinein reflektiert er seine Erfahrung und setzt aus vielen kleinen Begebenheiten ein Gesamtbild der alltäglichen Bedrohungslage zusammen. So registrierte er zwar schon die völlige Abwesenheit der Juden, über ihr Schicksal wurde allerdings nie gesprochen. Dass die Trümmer auf seinem Schulweg zu einem Ghetto für Juden gehört hatten, erfuhr er erst nach dem Krieg. Auch die Abweichung zwischen Propaganda und Kriegsgeschehen erzeugte Unsicherheit. Auffällig für ihn war, wie die durch Fanfaren angekündigten Siegesmeldungen im Radio immer seltener wurden oder wie sich im Verlauf des Russlandfeldzuges die Polemik von Sieger- auf Heldenmentalität verschob.Die Schilderungen sind lebhaft und angereichert mit vielen persönlichen Eindrücken. Er ergänzt seine Erzählungen mit vielen informativen Bilder und Landkarten, von denen manche leider etwas klein und unscharf geraten sind – ein kleiner Mangel in der sonst sorgfältigen Ausarbeitung.Durch das gesamte Buch setzt der Autor seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse immer wieder in Zusammenhang mit geschichtlichen Hintergründen. Er macht den Zwiespalt und das Gefühl von Bedrohung für den Leser greifbar und zeichnet ein eindrückliches Gesamtbild der Hintergründe. Somit gelingt Arnulf Baumann ein spannender biografischer Beitrag zur geschichtlichen Aufarbeitung jener Zeit.
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