Für die historische Einordnung seines Empfindens analysiert der Autor die Stellung der Kirche im NS-Staat und speziell im NS-Mustergau Wartheland. Dort wollten die Verantwortlichen demonstrieren, wie es nach dem Endsieg im gesamten Deutschen Reich aussehen sollte. Somit war der Anspruch, dienationalsozialistischen Werte zu leben, entsprechend hoch. Erschwert wurde die Umsetzung, wie derAutor ausführt, weil die Deutschen trotz aller Bemühungen nie die Bevölkerungsmehrheit in der Region bildeten, so dass die NS-Führung zu rigorosen Machtdemonstrationen griff, wie der gnadenlosen Repression der Polen und der erzwungenen Mitgliedschaft in NS-Organisationen für Deutsche.Für geistliche Institutionen war im NS-Mustergau Wartheland kein Platz. Wenn auch die evangelischeKirche (im Gegensatz zu jüdischen Gotteshäusern und auch der römisch-katholischen Kirche) nicht verboten wurde, so wurde ihre Rolle für das deutsche Volk doch kritisch betrachtet und sie zu einem Verein minderen Rechts degradiert. Der Posener Regierungsvizepräsidenten Richard Jäger verfolgte einen 13-Punkte-Plan, der die völlige Demontage der kirchlichen Struktur vorsah. Die Trennung zwischen Kirche und Staat war so streng, dass einige Staatsvertreter ihren Job verloren, nachdem sie im Gottesdienst gesehen wurden. Was die NS-Führung unterschätzt hatte, war die enge Bindung der umgesiedelten Deutschen an die Kirche. Sie besuchten regelmäßig Gottesdienste und ersetzten die verbotene Kirchensteuer durch großzügige Spenden.Der Zwiespalt zwischen den familiären und den gesellschaftlichen Werten im NS-Staat sensibilisiert Arnulf Baumann für weitere Unstimmigkeiten, die ihm während der Jahre im Wartheland begegnen: Begebenheiten, bei denen seine Wahrnehmung nicht mit dem zusammenpasste, was öffentlich kommuniziert wurde. Im Nachhinein reflektiert er seine Erfahrung und setzt aus vielen kleinen Begebenheiten ein Gesamtbild der alltäglichen Bedrohungslage zusammen. So registrierte er zwar schon die völlige Abwesenheit der Juden, über ihr Schicksal wurde allerdings nie gesprochen. Dass die Trümmer auf seinem Schulweg zu einem Ghetto für Juden gehört hatten, erfuhr er erst nach dem Krieg. Auch die Abweichung zwischen Propaganda und Kriegsgeschehen erzeugte Unsicherheit. Auffällig für ihn war, wie die durch Fanfaren angekündigten Siegesmeldungen im Radio immer seltener wurden oder wie sich im Verlauf des Russlandfeldzuges die Polemik von Sieger- auf Heldenmentalität verschob.Die Schilderungen sind lebhaft und angereichert mit vielen persönlichen Eindrücken. Er ergänzt seine Erzählungen mit vielen informativen Bilder und Landkarten, von denen manche leider etwas klein und unscharf geraten sind – ein kleiner Mangel in der sonst sorgfältigen Ausarbeitung.Durch das gesamte Buch setzt der Autor seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse immer wieder in Zusammenhang mit geschichtlichen Hintergründen. Er macht den Zwiespalt und das Gefühl von Bedrohung für den Leser greifbar und zeichnet ein eindrückliches Gesamtbild der Hintergründe. Somit gelingt Arnulf Baumann ein spannender biografischer Beitrag zur geschichtlichen Aufarbeitung jener Zeit.